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Die Stöltenlichter oder Irrlichter am "Rotten"

Vor langer Zeit lebte in Klein Förste eine Witwe, deren Mann schon nach kurzem Ehestand verstorben war und sie mit ihrem kleinen Sohn zurückgelassen hatte.

Solch ein Schicksal war damals ein wirkliches Unglück und brachte Not und oft auch Tod mit sich.

Als der Junge die Dorfschule hinter sich gebracht hatte, kam er nach Hasede in die Dienste eines Bauern, wo er schlief und voll beköstigt wurde. Noch vor Sonnenaufgang mußte er aufstehen, die Pferde striegeln und füttern. War diese Arbeit getan, ging's hinaus ins Feld. Wochenlang konnte Heinrich, so hieß der Junge, seine Mutter in Klein Förste nicht besuchen.

Schließlich machte er sich eines Abends, es war Herbst, auf den Weg nach Hause. Die Landstraße in Richtung Hannover über Groß Förste zu gehen erschien ihm wohl als Umweg, deshalb ging er quer durch die Feldmark, an Wegrainen und Gräben entlang, in Richtung der Klein Förster Rotten.

Die Rotten - erst nach dem letzten Krieg verschwanden sie, und die älteren Leute in unserem Dorf kennen sie noch - waren eine Anzahl Erdlöcher, von Riedgras und Schilf umstanden und mit Wasser gefüllt, das aus der starken Rottenquelle sprudelte. Hier ließen die Dorfbewohner ihren Flachs, den sie nebenan auf den Feldern anbauten, verrotten.

Zahlreiche rissig-knorrige Kopfweiden umstanden den Rottengraben, und um jedes Rottenloch gruppierten sich hohe, schlanke Pappeln.

Hier war es stets ruhig und still, denn die Rotten lagen am Rande der Klein Förster Feldmark. Im Süden begann Haseder Land und zum Westen hin erstreckten sich die Weiden und Äcker der Groß Förster.

Heinrich schritt rüstig aus. Am Himmel hingen dunkle Wolken, und es sah nach Regen aus.

Unerwartet schnell stand er plötzlich vor den ersten großen Pappeln, welche die Rottenquelle umsäumten und deren Blätter unheimlich im aufkommenden Winde rauschten.

Erschreckt hielt der Junge inne und schaute nach vorn. Die Nacht war wie Ofenruß so schwarz. Von Westen her wehte ein warmer Regenwind und von weither schrie eine Eule. Das Dorf war nicht zu sehen, und dem Jungen lief eine Gänsehaut über den Rücken. Was war da?

Seine Augen weiteten sich vor Schrecken und starrten gebannt auf das Licht, das blau-grünlich schien und leicht hin und her flackerte.

War das ein Licht aus dem Dorfe? - Heinrich bewegte sich langsam vorwärts. Er sah nur nach dem Licht und achtete nicht mehr auf den Rottenweg, der jetzt kommen mußte. Mitunter stolperte er, rappelte sich aber gleich wieder auf und ging weiter.

Plötzlich waren noch mehr Lichter da. Alle flackerten eigentümlich blau-grün.

Wie im Traum folgte Heinrich dem hellen Schimmer. Da gab der Boden unter ihm plötzlich nach.

Mit den Händen suchte er Halt im trockenen, scharfen Schilfgras. Unter seinen Füßen gluckste Wasser und beinahe wäre er in die Rotten gefallen.

Als er sich aufrichtet, hörte er die Kapellenuhr neunmal schlagen. Der Schreck löste sich und er lief quer über die schon gepflügten Felder nach Hause.

Seine Mutter meinte, es seien die Stölten- oder Irrlichter gewesen, welche er gesehen habe, die schon des öfteren Menschen in die Irre oder ins Moor geleitet hätten.