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Sagen und Geschichten

Vom Gluhswans

In allen Dörfern des Landkreises Hildesheim kennt man den Gluhswans. So natürlich auch in Bockenem. Hier erzählt man sich folgende Geschichte: Wo in Bockenem der Gluhswanz in einem Schornstein fährt, wohnt in dem Haus eine Hexe, der bringt er etwas. Die Hexe muß für ihn eine Sätte (Napf) Milche auf den Herd stellen. Findet er die Milch nicht, dann steckt er das Haus in Brand.

Der Hakelmann

In Bockenem hält er sich im Mühlengraben auf. Auch die oole Haksche war als weibliches Gegenstück des Hakelmanns bekannt. Man bedrohte unartige Kinder: Toif man, de oole Haksche kummt!

Die Bockenemer Spenne

In Bockenem herrschte einmal große Not. Es war um die Weihnachtszeit, da mangelte es vielen Leuten am täglichen Brot. In der Stadt wohnte damals eine reiche Jungfrau, die spendete dem Rat Geld zum Ankauf und zur Verteilung von Brot, daß sich die Armen wenigstens Weihnachten satt essen konnten. Die Jungfrau dachte aber auch an die Zukunft und spendete eine weitere Summe, von deren Zinsen alljährlich zwei Zentner Weizenmehl gekauft werden konnten. Nach ihrem Willen mußte das Mehl umschicht einmal von der Stadtmühle, das andere Mahl von der Kompaniemühle bezogen werden. Aus dem Mehl hatte ein Bäcker 1000 Knobben und 35 Semmeln aus gleichem Teig zu backen, zu dem er nur Mehl, Salz und Wasser nehmen durfte. Das Backwerk kam am Christabend in genau bestimmter Ordnung zur Verteilung an die Armen, an die Geistlichen und Lehrer, an die Ratsherren und Stadtknechte. Für die Kinder, auch für die kleinen, die soeben gehen konnten, erfolgte die Verteilung in der St. Spiritus-Kapelle.

Als die Jungfrau längst gestorben war, hatte einmal der Bäcker die für die Geistlichen und Ratsherren bestimmten Knobben aus besserem Mehl und sehr groß gebacken, die für die Armen und Kinder aber klein und aus schlechterem Mehl. Da erschien während der Christpredigt plötzlich die Jungfrau als weiße Gestalt auf der Orgelprieche, lehnte sich weiter über das Pult hinaus und richtete unverwandt ihren zürnenden Blick auf den Pastor. Dieser schloß sofort seine Predigt, und die Kirchenbesucher beeilten sich, so schnell wie möglich aus der Kirche ins Freie zu kommen. Den letzten aber schlug die Kirchtür auf die Hacken.

Seit dem Erscheinen der weißen Jungfrau ist die Spenne wieder in der richtigen Art und Weise verteilt worden. Das Mehl wird zum Bäcker in versiegelten Säcken gebracht, die nachts zwei Uhr in Gegenwart von Ratsherren geöffnet werden. Ein Ratsherr verbleibt die ganze Nacht im Backhaus und wacht darüber, daß alle Vorschriften genau befolgt werden. - Die Inflation hat dem schönen Brauch das Ende gebracht. Die Bockenemer Mädchen aber erzählten sich: Wer in der Christnacht zwölfmal um die St.-Pankratius-Kirche läuft, dem erscheint die weiße Jungfrau.

Die Geschichten vom Dillsgraben

Das versunkene Schloss im Dillsgraben
Wenn man von Bockenem aus südwestwärts an der alten Dorfstätte Hachum vorbei den Hilligenstieg hinaufgeht, so trifft man auf der Höhe des Hachumer Feldes, das der Ochsenberg genannt wird, eine trichterförmige Erdsenke, die den Namen Dillsgraben führt. Der obere Rand dieses Erdfalls, um einen solchen handelt es sich, hat ungefähr einen Umfang von einem Kilometer. Die abfallenden Ränder sind mit Gebüsch bewachsen; am Grunde befindet sich ein kleiner Teich, der von einer am Nordabhang sprudelnden Quelle gespeist wird.

Vor langen Jahren stand an der Stelle, wo der Dillsgraben sich ausdehnt, ein stolzes trutziges Schloß mit Turm und Tor. In ihm wohnte der Ritter Dill mit seinen Mannen. Mit ihnen zog er täglich in die angrenzenden Wälder zur Jagd hinaus. Auch am Christabend, als von Bockenem her die Glocken zur Christkirche riefen, brach er in Begleitung eines treuen Dieners zur Jagd auf. Was kümmerte ihn die Geburt des Weltheilandes, die hochheiligste Nacht nicht durch sein sündhaftes Trieben zu entweihen, fand kein Gehör. Vielmehr begann er, Gott zu lästern, und verschwur sich, nicht ohne Beute zurückkehren zu wollen, und sollte gleich sein Schloß darüber zugrunde gehen.

So jagte er nun über Berg und Tal, doch kein Wild ließ sich sehen. Der Wald war wie ausgestorben. Endlich kreuzte ein Hase den Weg, aber er trug das Kreuzeszeichen an seiner Stirn. Fluchend legte der Ritter Dill auf ihn an,  zielte und - fehlte. Da packte den trotzigen Jäger das Grauen. Hastig wandte er seinen Schimmel und jagte, Unheil ahnend, seinem Schloss zu.

Als er durch das Schloßtor sprengte, flog der Hahn, der vorher schon zweimal in menschlicher Rede die Schloßbewohner gewarnt hatte, auf den hohen Turm. Bei dem dritten Hahnenschrei aber versank der Ritter mit dem Schloß und seinen Bewohnern tief ind en Berg hinein. Allein der fromme Diener entging dem Untergang. Er hat erzählt, wie der Fluch und der Schwur des Ritters in Erfüllung gingen.

In der Tiefe des Berges sitzt der Ritter Dill schlafend an einem Steintisch, durch den sein weißer Bart hindurchgewachsen ist. Nur ind er Christnacht erwacht er und kehrt für kurze Zeit auf die Oberfläche der Erde zurück, um dreimal mit seinem Schimmel im Galopp um den Dillsgraben zu jagen. Dann verschwindet er wieder in der Tiefe.

Der Dillsgraben und der Negenborn

Wer oben am Rande des Dillsgraben steht, sieht den Teich tief unten als ruhige, dunkelgrüne Wasserfläche. Einmal ließ sich ein Waterduiker (Taucher) in den Teich hinab. Da sah er in der Tiefe das versunkene Schloß. Plötzlich wollte ihn ein Strudel in die Tiefe hinabziehen. Nur mit Mühe und größter Anstrengung gelang es ihm, sein Leben zu retten. Als man einmal viele lange Stricke aneinanderband und einen Stein daran befestigte, um ihn in das Wasser zu werfen, da reichten die Stricke nicht. Der Stein riß sie den Haltenden aus den Händen. Nach einiger Zeit kamen Stein und Stricke im Negenborn bei Königsdahlum wieder heraus. Das gleiche war auch der Fall, als einigen am Dillsgraben angelnden Knaben die Angelschnüre von beißenden Fischen aus den Händen gerissen wurden. Die Schnüre kamen im Negenborn wieder zum Vorschein. Eine Ente aber, die man auf das Wasser des Dillsgrabens gesetzt hatte, traf nach einiger Zeit ohne Federn nackt im Negenborn ein.

In Störy erzählt man sich, daß die kleinen Jungen aus dem Dillsgraben kämen, in Königsdahlum dagegen sagt man, von dort kämen die kleinen Mädchen, die kleinen Jungen aber aus dem Negenborn. Der Wasserstand im Dillsgraben ist nicht immer gleich hoch. Vor einigen Jahrzehnten war er Brauch, daß sich am 1. Pfingsttag viele Bewohner der Dörfer des Ambergaues beim Dillsgraben zu einem Volksfest einfanden. Erfahrene Bauern begutachteten die Höhe des Wasserstandes, denn danach richtete sich im kommenden Herbst die Höhe der Kornpreise. Sah man in der Mitte des Teiches einen Pfahl herausragen, so stand eine Teuerung bevor. 

Das Wasser zeigt nicht immer eine dunkelgrüne Farbe. Erscheint es rot, so kommt ein Krieg. Vor Ausbruch des 1. Weltkrieges 1914 will man die geheimsnisvolle Verfärbung beobachtet haben.

Die Fische im Dillsgraben

Die Fische im Dillsgraben sind verwünschte Burgleute und dürfen deshalb nicht gefangen werden. Einst ging ein Mann abends zum Dillsgraben, um zu fischen. Bald fing er auch einen großen, dicken Fisch. Er tat ihn in seine Kiepe und ging damit nach Bockenem, um ihn daselbst zu verkaufen. Während er im Sütter hinunterging, wurde die Kiepe immer schwerer. Beim Hachumer Kirchhof setzte er sie, um sich einmal auszuruhen, auf einen Stein. Als er nach dem Fisch sehen wollte, fand er, daß ein Ding, halb Mensch halb Fisch, in seiner Kiepe saß. Der Nachtwächter in Bockenem tutete gerade in die Mitternachtsstunde. In dem Augenblick fing der Fisch an zu sprechen und fragte: Jiulejan, heste de Schwe-ine all inne dahn? (Julian, hast du die Schweine schon eingetan?). Aus der Ferne kam die Antwort: Ja, bett up de ein-egije Seeje noch! (Ja, bis auf die einäugige Sau). Dann sagte der Fisch zu dem Manne, er solle ihn wieder hinein tragen, woher er ihn geholt habe, sonst würde es ihm übel ergehen. Der Mann ging also zurück zum Dillsgraben. Unterwegs wurde das Ding in der Kiepe leichter. Zuletzt war es so leicht wie zu Anfang, als der Mann es gefangen hatte. Beim Dillsgraben war es wieder zum Fisch geworden. Der Fischer wollte ihn jetzt ins Wasser werfen, doch da lag schlug ihn der Fisch mit dem Schwanz ins Gesicht und sprang ins Wasser. - Drei Tage danach ist der Fischer gestorben.

Einst spielten zwei Kinder, ein Junge und ein Mädchen, unten am Dillsgraben, während die Eltern in der Nähe das Feld bestellten. Da kam ein riesengroßer Hecht mit bemoostem Rücken ans Ufer geschwommen. Mit menschlicher Stimme lud er die Kinder ein, sich einmal Dills versunkenes Schloß anzusehen. Sie setzten sich in kindlicher Unschuld und Neugier auf seinen Rücken und wurden unversehrt von ihm ins Schloß getragen. Erstaunt wanderten sie durch die Räume. In einem großen Saal sahen sie den Ritter Dill am Tische sitzen. Er nickte ihnen freundlich zu und bewirtete sie. Dann bestiegen sie den Hecht von neuem und gelangten glücklich wieder zu ihren Eltern zurück.