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Die kopflosen Männer

In jener Zeit ging eine Botenfrau aus unserem Dorf jeden Donnerstag mit ihrer großen Kiepe nach Hildesheim. An einem dieser Tage war sie wieder dort gewesen und von Geschäft zu Geschäft gelaufen, um die vielen Einkäufe, die man ihr aufgetragen hatte, zu erledigen. Am Nachmittag stattet sie noch ihrer Schwester einen Besuch ab, und beim Erzählen und Klönen war die Zeit schnell vergangen und der Abend hereingebrochen.

Erschrocken bemerkte die Frau, dass es dunkel geworden war, stand hastig auf, nahm die Kiepe auf den Rücken und machte sich auf den Heimweg nach Klein Förste.

In der Stadt begegnete ihr noch manche Leute, aber draußen, in Richtung zum Gut Steuerwald, wo auch die Leute aus unserem Dorf Hand- und Spanndienste leisten mußten, war niemand mehr. Aus den Innerstewiesen stiegen erste hauchdünne Nebelschleier. Die Botenfrau machte sich im Stillen Vorwürfe wegen ihres langen Verweilens und schritt deshalb schnell voran. Nach geraumer Zeit erreichte sie Hasede, bog dann nach rechts ab, um durch das Haseder Feld und an den Rotten entlang nach Hause zu gelangen.

Der Mond war voll aufgegangen und tauchte alles in sein fahles Licht. Die Botenfrau sah nicht viel umher, einmal wegen der Last auf ihrem Rücken, zum anderen war ihr leicht gruselig zumute. Ängstlich achtet sie auf die Geräusche ringsum. Bis zu Schäferei am Dorfrand konnte es nicht mehr weit sein! Sie hob den Kopf und versuchte, den niedrigen, flachen Stall zu erkennen. O Schreck! - Wie angewurzelt blieb sie stehen! Dort hinten ging jemand! Sie wollte schreien, konnte aber nicht. Die Gestalt, die sich langsam vorwärts bewegte, hatte keinen Kopf!

Jetzt begannen die Hunde des Schäfers wie wild zu bellen. Die verängstigte Frau sah nicht weiter nach der grausigen Gestalt, lief trotz der Last schnell nach Hause, warf die Kiepe ab und berichtet stockend und außer Atem ihrer wartenden Familie das schreckliche Erlebnis. Am anderen Morgen verbreitete sich die Geschichte in Windeseile überall im Orte.

Ein Bauer schüttelte ungläubig den Kopf und sagte: Dummes Tuig, giwet nich! und ging seiner Wege. Eine ganze Zeit verging. Eines Tages machte sich dieser Bauer auf seinen schweren Knotenstock gestützt auf ins Nachbardorf Groß Förste, wo er einige Besuche machen wollte. Am Abend fand er sich dann im Gasthaus ein, um 'Teufel Gebetbuch' in die Hand zu nehmen. Als er vom Spieltisch aufstand, war es spät geworden.

Auf dem Heimweg war er mit seinen Gedanken beim Spiel und achtete kaum auf den Weg. Plötzlich bewegte sich etwas seitlich des Weges. Der Alte faßte seinen Stock fester und blieb wartend stehen. Eine Gestalt kam näher und näher, und jetzt sah er ganz deutlich, daß es ein lebendiger Mann war, der einen Sack trug, weswegen man auch seinen Kopf nicht erkennen konnte.

Der Schreck verflog dem Bauern nun im Nu. Er nahm seinen Stock und versetzte dem anderen einen schweren Schlag auf den Kopf. Lautlos brach dieser zusammen, der pralle Sack rollte zur Seite, der Bindfaden löste sich, und Korn rann auf die Erde. Ein Korndieb also, ein verfluchter! dachte er. Er beugte sich zu dem Liegenden herab, um zu sehen, wer dieser Lump sei und erschrak nicht wenig, als er seinen Knecht Willem erkannte.

Willem, dat due ock sau wat dast, hatte ek nich e'dacht! Willem erwiderte darauf nichts. Seg wat, forderte ihn der Bauer auf, bekam aber keine Antwort. Entsetzt stellte er fest, daß sein Knecht tot war. Er selbst hatte ihn erschlagen.

Kälte kroch in seine Knochen. Lange stand er unbeweglich da, dann ging er mit zitternden Beinen nach Hause und blieb die restliche Nacht in der Stube sitzen. Am nächsten Morgen offenbarte er das schreckliche Geschehnis seiner Familie und stellte sich selbst dem Vorsteher des Dorfes.

Das ganze Dorf war bald in hellster Aufregung. Ein paar Tage danach kamen mehrere Gendarmen auf den Hof geritten und nahmen die Aussage des Bauern zu Protokoll. Wenig später wurde dieser auf das Gericht bestellt.

Voller Sorge wartete die Familie auf seine Rückkehr, aber vergebens. Am Abend zog ein Gewitter auf, und der Regen prasselte auf die Erde. Als das Unwetter vorbei war, machte sich der Sohn auf, um seinen Vater zu suchen. Nach geraumer Zeit kam er totenbleich zurück. Er hatte seinen Vater auf halbem Weg gefunden, vom Blitz erschlagen just an der Stelle, wo er in jener unseligen Nacht seinen Knecht erschlagen hatte.

Wie ein Lauffeuer verbreitete sich diese Kunde überall im Dorf, und gar mancher mag über die eigenartigen Zusammenhänge nachgedacht haben. Später ließ die Familie des Bauern an der Stelle, wo die beiden den Tod gefunden hatten, ein Doppelkreuz errichten.

Leute, welche zu ganz später Stunde nach Hause gingen, wollen des öfteren, zumal in der Geisterstunde, einen großen schwarzen Hund, mit glühenden Augen und einer langen roten Zunge liegen sehen haben. Dat is bestimmt de Bouer, dä mot spoiken goan, weil hei soinen Knecht deot 'eslan hät! meinten dann die Erzählenden.