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Sagen und Geschichten

Die Sage vom Glockenbrunnen

Es mögen etwa 25 Jahre her sein. Da saß ich mit Kantor Scheele zu mitternächtlicher Stunde in seinem kleinen Stübchen, das nur matt durch eine Petroleumleuchte erhellt war. Oft und gern suchte ich ihn auf. Aus reicher Lebenserfahrung, ausgerüstet mit Mutterwitz, wusste er Personen und Zustände alter Zeit in treffender Weise zu schildern. Wieder hatte er aus alten Tagen erzählt. Auf allerlei Spukgeschichten waren wir zu sprechen gekommen, dabei konnte man das Gruseln kriegen. Plötzlich, mitten im Erzählen, klopfte es ans Fenster. Erregt sprangen wir auf. Was mochte das sein? Doch ehe wir uns darüber klar wurden, rief jemand mit zitternder Stimme: „Geht hier der Weg nach Esbeck?“ Wir rissen das Fenster auf und konnten in der nebligen Herbstnacht kaum das Gefährt mit dem kleinen Schimmel davor erkennen. Nachdem der Mann von uns Auskunft erhalten hatte, nahm er erleichtert und befriedigt Abschied.

Am anderen Tag folgte dann des Rätsels Lösung. Das Gespann war von Banteln gekommen und wollte in den Quirn nach Esbeck einbiegen, hatte dabei die Biegung zu scharf genommen und war in den Bekumer Weg geraten. Nach langer Irrfahrt im Felde und auf den Wiesen hatte der Fahrer endlich das Blöken von Schafen gehört. Durch den Schäfer war er wieder auf den rechten Weg nach Eime gebracht. Wie leicht konnte er im dichten Nebel in die Asbost geraten und dort mit seinem Gespann versinken! Sollen doch verschiedene Leute, durch Irrlichter angelockt, dorthin geraten sein. Ein gütiges Geschick hatte ihn bewahrt.

Dort in der Nähe, wo die Eisenbahn von Elze nach Banteln einen tiefen Einschnitt in das höher gelegene Gelände macht, lag früher der Ort Bekum, der seit der Zeit der Hildesheimer Stiftsfehde zerstört ist. Von den geflüchteten Familien zogen zwei nach Eime und beackerten von hier ihre in der Feldmark Bekum liegenden Ländereien. Bei dem Bau der Eisenbahn im Jahre 1854 wurden an jener Stelle noch Reste von gemauerten Brunnen, Eisenteile von verbrannten Wagen und Ketten gefunden. Neben dem früheren Bekumer Anger liegt in der Bantelner Gutskoppel der sogenannte Glockenbrunnen, der durch mancherlei Buschwerk eingefasst ist und von dem noch allerlei Geschichten erzählt werden. Aus der Mitte ragen die verschiedensten Sumpfpflanzen empor, von denen der Rohrkolben (Zylinderputzer) für die Jungen eine besondere Anziehungskraft hat. Doch wehe, wer hinein gerät! Langsam muss er im Schlamm versinken, denn nach der Meinung der Leute ist der Sumpf grundlos.

Hier war es früher nicht recht geheuer, und gar mancher ist bei eingetretener Finsternis dort die Nacht umhergeirrt oder wohl gar in Sumpf und Schlamm versunken. Wenn in lauen Sommernächten kein Lufthauch die Zweige der Büsche regt, dass man den Käfer hört, der durch Grashalme hastet, dann kann man in der Tiefe des Morastes die Glocken vom verschwundenen Bekum hören.

So erzählen alte Leute. Frag sie nur, sie haben es sich von ihren Ureltern erzählen lassen, und sie erzählen es wieder ihren Kindern und Enkeln, und so habe auch ich es erfahren.

Erzählt vom Eimer Lehrer Gustav Mull

Veröffentlicht im Dezember 1924 in den Gronauer Jugendblättern

Gespenster im Lügenwinkel

Westlich des Kaliwerks entspringt nach der Bantelner Seite zwischen Külf und Knick eine Quelle, die bei den alten Leuten etwas Geheimnisvolles hervorruft. Hier soll einmal der Lügenwinkel gewesen sein. Erzählt wird, dass in dieser Gegend einmal ein großes Unrecht geschehen sein soll. In den stillen Nächten soll dort immer noch eine Geisterstimme zu hören sein. Grausig ertönt zu manchen Zeiten der Ruf: „Unrecht um, doch noch Recht, Uhu!“

Anlass zu dieser Legende haben wohl die Uhus gegeben, die einst in duklen Nächten umherflogen. Gar oft flatterten die Tiere um die Lampen, die hier und dort aufgestellt waren. Viele Leute mieden zur Nachtzeit diese Gegend, da sie die dunklen Gestalten am Himmel fürchteten. Denn in ihren Augen waren die umher flatternden Vögel Gespenster, die durch ihre Geisterstimmen den Menschen das Gruseln einflößen konnten. Beherzte Männer sollen, wie erzählt wird, an hohen Stangen Fallen angebracht haben, durch die den armen Tieren beide Beine abgeschlagen wurden. Seitdem hat man von diesen seltsamen Tieren nichts mehr gehört und gesehen. Und damit ist auch der Spuk verschwunden. Nur die alten Leute erzählen noch ab und zu von dieser Gespenstergeschichte.

Erzählt von H. Duckstein

Es war einmal in Eime – Gelebte Dorfgeschichten

Ganz andere und sehr lebendige Geschichten erzählte man sich in Eime und den zugehörigen Orten Dunsen, Deinsen, Deilmissen und Heinsen im Rahmen eines Theaterprojekts des TPZ Hildesheim (Theaterpädagogisches Zentrum Hildesheim e.V.) zwischen August und November 2019. Gelebte Dorfgeschichte(n) wiederentdecken – das war das Ziel. Um dieses zu erreichen, machten sich die Theater- und Schreibpädagog*innen Silke Pohl und Karu Grunwald-Delitz zusammen mit Elisa Kneisel, einer Studentin der Kulturwissenschaften, auf, um Menschen im Flecken Eime zum Erzählen und Theaterspielen zu motivieren. Tatsächlich ließen sich viele Menschen aus Eime und den zugehörigen Orten anstecken und waren sehr kreativ. Im Anschluss an das Projekt, das vom Landesverband Theaterpädagogik Niedersachsen e.V. gefördert wurde, entstand eine Sammlung von Geschichten in Heftform. 

Und wenn sie nicht gestorben sind ...  

Hier kommen zwei Gelebte Dorfgeschichten – erzählt von echten Eimern.

Eine Kindheit in der Eimer Unterwelt

Als das Kaliwerk Frisch Glück 1905 offiziell die Förderung aufnahm, muss sich das Leben in Eime schlagartig verändert haben. Mit Ankunft der 350 Werksmitarbeiter entwickelte sich eine ganz neue Infrastruktur: Gesangsverein und Werksfeuerwehr wurden gegründet, eine neue Schule, eine Badeanstalt und eine Turnhalle gebaut. Und mittels einer kleinen Doppelhaus-Kolonie unweit des Werks wurde neuer Wohnraum für die Arbeiterfamilien geschaffen. In dieser Betriebssiedlung lebte mein Großvater mit meiner Großmutter, denn auch er war im Kaliwerk beschäftigt. Als das Werk nach nur wenigen Jahren wieder geschlossen wurde, kauften sie das Haus, und seitdem ist es im Besitz meiner Familie.

Wenn man mich heute fragt, wo ich aufgewachsen bin, dann sage ich selbstverständlich: „In Eime!“ Doch damals verhielt es sich anders. Es hieß dann immer: „Woher kommst du? Vom Schacht???“ Und dann war man sofort abgestempelt. Als Kinder unterschieden wir sogar noch zwischen Ober- und Unterschacht. Auf beiden Seiten gab es ein eigenes Osterfeuer …

Beide Parteien versuchten natürlich, das jeweils andere verfrüht anzuzünden. Diese Rivalität artete auch gerne mal in handfeste Prügeleien aus.

Doch neben dem Spielen solcher Streiche gab es noch ganz andere Höhepunkte in unseren Kindertagen: die regelmäßigen Besuche des Puppentheaters der Zahnpastafirma Blendax oben auf der Waldschenke. Eines Tages, etwa 1948, waren meine Eltern zu Hause geblieben und ich lauschte gespannt den Geschichten des Puppenspielers. Auf einmal hörte man einen schrecklichen Knall und ein enormes Getöse, gefolgt von einer starken Erschütterung. Alle rannten aus dem Theater und rissen einander dabei fast um. Zuhause stürmten auch meine Eltern auf den Hof – alle Dachziegel klapperten. Klack, klack, klack! Mein Vater kannte das noch aus Kriegszeiten und lief sofort wieder ins Haus hinein, um sich vor einem vermeintlichen Angriff in Sicherheit zu bringen.

Was tatsächlich passiert war: In Godenau wurde der Schacht gesprengt. Ab da hieß es immer: Die Schächte sind miteinander verbunden und der in Eime geht auch gleich hoch!

Diese und weitere Legenden über den Schacht verbreitetet sich im Eime der Nachkriegszeit hartnäckig. Manche behaupteten, an manchen Stellen gebe es so große unterirdische Höhlen, dass ganze Kathedralen hinein passten. Hin und wieder hörte man auch, dass Eime komplett unterhöhlt sei, und solle einmal das Füllmaterial im Schacht zu rutschen beginnen, würde ein Erdbeben unweigerlich das Dorf erschüttern. Andere vermuteten geheime Kriegswaffenlager in den Kalischächten.

Jahrzehnte später fanden Herr Schmull, der ehemalige Gemeindedirektor, und ich bei Nachforschungen alte Dokumente im Kaliwerk Bad Salzdetfurth und sahen zum ersten Mal auf Karten, wie weit sich der Schacht in Eime wirklich erstreckte. Es gab keine Verbindung zu Godenau; das war alles Quatsch.

Inzwischen sind wir zu inoffiziellen Archivaren der Eimer Schacht-Geschichte geworden. Wir tragen alle möglichen Quellen, Fotos und Objekte aus der Zeit des Kaliwerks zusammen: Aus vielen Dachböden und Kellern in der Region finden durch Schenkungen immer wieder historische Zeugnisse den Weg in unsere Sammlung. Sobald die Eimer Heimatstube – unser Ortsmuseum – umgebaut und wieder begehbar ist, können Interessierte dort Steigeruniformen, Flaggen, Modelle und historische Texte aus der gut dokumentierten Eimer Unterwelt betrachten. Doch manche Mythen und Legenden rund um den Schacht werden sicherlich nie ganz verschwinden.

Erzählt von Wolfgang Ripke, zu Papier gebracht von Elisa Kneisel

Eine Idee, die mir schmeckt

(Anm. d. Red.: In dieser gekürzten Geschichte wird über das Backhaus in Eime berichtet. Sie beginnt mit dem Tag, an dem Michael Schwarze sich zum zweiten Vorsitzenden des Heimat- und Kulturvereins Eime hat wählen lassen - des Vereins, der damals auf dem Schützenplatz ein Backhaus bauen wollte.)

(...) Seit diesem Tag sind inzwischen mehr als zehn Jahre vergangen. Ich bin immer noch zweiter Vorsitzender und meine Frau steht hinter mir. Anfangs hatte ich noch Sorge, dass wir etwas bauen könnten, das später niemand nutzt. Doch es hat sich glücklicherweise anders entwickelt. Der Backofen wird regelmäßig angefeuert und mit Leckereien befüllt, Gruppen treffen sich zum Stammtisch, und wir planen Aktionen wie den Herbstmarkt oder das Obstsaft-Mosten.

Am liebsten ist mir jedoch das Plätzchenbacken mit den Kindern. (...) Für das Backhaus haben wir Kindertische gekauft und in die Backtage ist eine gewisse Routine eingekehrt. Dennoch ist es jedes Mal etwas Besonderes für mich. Meine Frau und ich nehmen uns oft dafür einen Tag Urlaub. Am Abend vorher bereite ich den Teig zu. Ich lasse mir zwei Stunden Zeit. Ich will schließlich, dass es ein guter Teig mit leckeren Zutaten wird. Dazu reibe ich die Schalen von Zitronen und Orangen ab und füge das Mark von echten Vanille-Schoten hinzu. Mittlerweile weiß ich, dass ich für eine Kindergruppe vier Kilogramm Teig brauche.

Tags darauf ist es so weit: Eine Gruppe von 15 bis 20 Grundschulkindern kommt in Zweierreihen auf das Backhaus zugelaufen. Ich begrüße sie. Meist sind sie erst einmal mucksmäuschenstill und verstecken sich hintereinander. Um miteinander warm zu werden, zeige ich ihnen das Backhaus – zuerst den Vorraum und dann den Ofen. Da werden sie schon aufgeweckter und tuscheln miteinander. 2Der ist ja riesig“, höre ich oft. Ich bitte sie, sich um den Ofen herum aufzustellen, und frage, wer schon mal hier war und wer zu Hause bereits Kekse gebacken hat. Ein paar Hände gehen nach oben.

„Und wie ist der Ofen zu Hause? Heiß oder kalt?“, frage ich.

„Na, gaaaanz heiß!“, rufen sie.

„Und wie ist der Backofen hier wohl? Heiß oder kalt?“

„Na, auch ganz hei!“

„Mhm … gucken wir doch mal. Wer traut sich, den Ofen anzufassen?“

Irgendein Kind findet sich immer. Langsam streckt es seine Hand aus, meist zuckt es aus Angst vor der Hitze zurück, ehe es den Ofen berührt. Doch wenn die Hand dann den Lehm berührt, ruft es: „Der ist ja ganz kalt!“

Ich erkläre ihnen, dass das bei Lehmöfen so ist. An der Außenseite sind sie kalt, aber innen und an der Ofenklappe ganz heiß.

Danach teilen sich die Kinder in Gruppen auf drei Tische auf; immer fünf, sechs Kinder stellen in Teamarbeit ihre Kekse her: Einige rollen den Teig aus, andere stechen mit den Förmchen die Plätzchen aus und legen sie auf das Backblech, wieder andere bepinseln die Plätzchen mit Ei und bestreuen sie mit Deko. Zwischendurch wird gewechselt. Während alle an ihren Stationen werkeln, sehe ich, wie ab und an ein Stück Teig in den einen oder anderen Mund wandert. Manch ein Kind fühlt sich ertappt, wenn es sieht, dass ich es sehe. „Probiert ruhig“, sage ich dann. „Ihr sollt ja wissen, wie der Teig schmeckt.“

(...) Wenn alle Plätzchen fertig gebacken sind, kriegt jede Besuchergruppe eine Dose oder einen Eimer voll mit nach Hause. Die ersten Plätzchen allerdings werden immer gleich vor Ort gekostet. Die Kinder sollen wissen, wie ihr Werk schmeckt, und auch ich möchte wissen, wie sie die Plätzchen finden. Eigentlich schmecken sie ihnen immer. Ich glaube, die Plätzchen sind etwas Besonderes für sie. Sie haben sie selbst gemacht und dann in diesem riesigen Ofen backen lassen. Was mich betrifft: Es freut mich zu sehen, wie viel Spaß die Kinder dabei haben. Aber natürlich bin ich auch froh, wenn alles vorbei und gut gelaufen ist.

Allerdings sind es nicht nur die Kinder, die mich an den Verein binden. Ich mag die Menschen dort und ich mag es, Orte zu haben und zu schaffen, an denen Menschen zusammenfinden, so dass nicht jeder allein zu Hause sitzt. Ich schätze es, wenn viele gemeinsam anpacken und man den Zusammenhalt spürt. Ich glaube, wir tun einfach das Richtige, und das lässt mich gern weitermachen.

Erzählt von Michael Schwarze, zu Papier gebracht von Karu Grunwald

Hoike  Sagen und Erzählungen aus dem Land zwischen Hildesheimer Wald und Ith

Der ehemalige Elzer Kreisheimatpfleger Wilhelm Barner hat in akribischer Feinarbeit zahlreiche Sagen und Erzählungen aus dem Leinebergland zusammengetragen, die er den Einwohnern entlockt hat und die sich um Ungewöhnliches in der Natur und um die Geschichte der Landschaft ranken. Unterstützt haben ihn dabei Ernst Bock, Lehrer in Ahrenfeld, Walter Köster aus Freden, Richard Schaller aus Alfeld und Heinrich Klages, Lehrer in Esbeck.

Der Heimat- und Geschichtsverein Elze und seiner Ortsteile e.V. hat die wertvollen Überlieferungen bereits 1960 in Buchform veröffentlicht. Heute sind diese auf der Website des Vereins unter Bücher / Hoike vollständig nachzulesen. Ganz am Ende der Seite hat man die Möglichkeit, sich alle Geschichten herunterzuladen. Besonders hilfreich ist das alphabetische Ortsverzeichnis, in dem alle Orte zu finden sind, zu denen es Geschichten gibt.

Eime findet man auf Seite 150.